Die Freude war groß in der Cannabis-Community, als am 1. April 2024 der Besitz von bestimmten Mengen Marihuana und Haschisch entkriminalisiert wurde. So darf jeder laut KCanG nach Vollendung des 18. Lebensjahres 25 Gramm Weed oder Hasch mit sich herumführen, drei Pflanzen haben und 50 Gramm Cannabisprodukte zuhause aufbewahren. Außerdem sind am 1. Juli die "Anbauvereinigungen" (a.k.a. Cannabis Social Clubs = CSCs) an den Start gegangen (was auch immer das heißt -- dazu mehr weiter unten). Doch die Euphorie währte nicht lange bei den Tausenden von Cannabis-Freunden, die sich in der Nacht zum 1. April vor dem Brandenburger Tor zum Smoke-in versammelt hatten, wie auch bei den insgesamt etwa 4,5 Millionen Menschen, die in Deutschland gelegentlich oder regelmäßig Cannabis konsumieren, zu denen sich auch der Autor dieser Zeilen zählt.
Laut Bundesregierung war das Ziel der Entkriminalisierung von Cannabis:
- den illegalen Cannabis-Markt einzudämmen,
- die Qualität von Cannabis zu kontrollieren, die Weitergabe von verunreinigten Substanzen zu verhindern und damit zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen,
- mehr für Aufklärung und Prävention zu tun
- und den Kinder- und Jugendschutz zu stärken.
Allerdings können die ersten beiden Ziele, die Eindämmung des Schwarzmarktes und das Verhindern von Weitergabe von verunreinigtem Cannabis, nur erreicht werden, wenn sauberes, qualitativ hochwertiges Cannabis in ausreichenden Mengen legal und zu attraktiven Preisen leicht zugänglich verfügbar ist. Und das ist leider (noch) nicht der Fall!
Zwar verzeichnet medizinisches Cannabis einen Boom (es fällt nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz und kann auch online per Privatrezept verschrieben werden) und Webseiten wie Dr. Ansay erfreuten sich schnell großer Beliebtheit; Growzelte und Equipment waren schnell vergriffen, Fachgeschäfte für Saatgut und Stecklinge wurden überrannt und Facebookgruppen, in denen Hilfestellung beim Eigenanbau zu erhalten war, verzeichneten wachsende Userzahlen. Jedoch ist eben nicht jeder ein geborener Gärtner und Cannabis ist eine recht anspruchsvolle Pflanze, die etwa drei Monate vom Einpflanzen bis zur Ernte braucht. Schädlinge, Nährstoffmangel und Schimmel können einem schnell einen Strich durch die Rechnung machen. Die CSCs sind offiziell erst am 1. Juli zugelassen worden und kämpfen seit dem mit massiven bürokratischen Hürden, die die Politik ihnen in den Weg gelegt hat, mit Sicherheit auch als Hinhalte- und Verzögerungstaktik. Als Gründungsmitglied eines CSC weiß ich, wovon ich rede. Es ist jetzt Anfang Oktober und wir warten noch immer auf die Eintragung ins Vereinsregister. Wem der Eigenanbau zu kompliziert war oder wessen Pflanzen nichts geworden sind oder wessen Ernte verschimmelt ist, dem bleiben also derzeit nur Dr. Ansay und Co. oder, wer beim Bestellvorgang dort nicht seinen Personalausweis ablichten und das Bild auf die Website laden will oder wem das alles eh zu kompliziert ist, eben die alten Quellen. In vielen Fällen werden das Freunde oder Bekannte sein, also die informellen Netzwerke, von denen Dr. Jakob Manthey vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg am 24. September 2024 in der Sendung Forschung aktuell im Deutschlandfunk sprach. In anderen Fällen ist es eben auch der Dealer.
Dabei unterstützt man natürlich nicht nur die Organisierte Kriminalität, sondern setzt sich auch erheblichen gesundheitlichen Gefahren aus. Mit was für einem Zeug Gras aus dubiosen Quellen verunreinigt sein kann -- von Glassplittern über Haarspray bis Pestiziden und synthetischen Drogen -- kann man auf der Website Dirty-Weed nachlesen.
Versprochen wurde von den Bundesministern Cem Özdemir und Karl Lauterbach als Teil der Säule 2 des Cannabisgesetzes der Verkauf von Cannabisprodukten an Erwachsene in Fachgeschäften in Modellregionen. Der Gesetzentwurf solle "nach der Sommerpause" vorliegen. Diese Versprechungen wurden am 12. April 2023 gemacht. Jetzt, zwei Sommerpausen weiter, ist von dem Gesetzentwurf nichts zu sehen. Näheres dazu berichtete die Legal Tribune Oline am 16. September. Mit anderen Worten: Die Ampel hält (wen wundert es?) ihre Versprechen nicht und lässt Millionen von Cannabis-Konsumenten zwischen allen Stühlen sitzen und setzt nicht wenige Menschen weiter dem Schwarzmarkt und den Gefahren durch verunreinigtes, minderwertiges Cannabis aus.
Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, droht die CDU nach einem Wahlsieg im nächsten Jahr, die Cannabis-Entkriminalisierung wieder rückgängig zu machen. Die aktuellen Gewaltakte in Köln, die der "Mocro-Mafia" aus den Niederlanden zugeschrieben werden und bei denen 300 Kilo gestohlenes Cannabis eine Rolle spielen soll, liefern Merz, Reul et al das nötige Narrativ, um so die Cannabispolitik der Ampelregierung für die Gewalt in Köln verantwortlich zu machen. So behauptet Herbert Reul am 27. September im Merkur, es gebe eine "erhöhte Nachfrage" nach Cannabis aufgrund der Legalisierung. Dieser Behauptung widerspricht allerdings die Aussage von Dr. Jakob Manthey am 24. September im Deutschlandfunk, dass es noch nicht genügend valide Daten gebe, um die Auswirkungen des Cannabisgesetzes einzuordnen. Die DEBRA Studie (Stand Juli 2024) zeigt keinerlei signifikante Veränderung im Cannabiskonsum. In der Tat erfreute sich Cannabis vor der Teillegalisierung steigender Beliebtheit, wie der Deutsche Hanfverband am 12. September 2019 berichtete. Gestiegen ist allerdings seit der Entkriminalisierung am 1. April 2024 sehr deutlich die Nachfrage nach medizinischem, also legalem Cannabis, zum Teil bis zu 100%, wie das Handelsblatt am 10. Mai schrieb.
Zwei Dinge werden hier deutlich: Erstens gibt es einen klaren Willen unter Cannabis-Konsumenten, hochwertiges Gras aus legalen Quellen zu beziehen, wenn diese denn zur Verfügung stünden. Zweitens gibt es einen potenziellen Markt, der Umsätze, Arbeitsplätze, Wohlstand und nicht zuletzt auch Steuereinnahmen generiert. Wie das aussehen kann, sieht man u.a. in Canada und in den US-Bundesstaaten, in denen Cannabis legalisiert worden ist.
Wenn ein Gesetz Mängel hat -- und das KCanG hat offensichtliche Mängel, wie zum Beispiel die Besitzobergrenze von 50 Gramm bei drei Pflanzen (wer sich sowas ausdenkt, hat noch nie eine Hanfpflanze gesehen) -- dann wäre der richtige Schritt einer (potenziellen) Nachfolgeregierung, diese Mängel zu beseitigen anstatt das ganze Gesetz zurückzunehmen. Im Falle des Cannabisgesetzes wäre das die Zulassung von freiem Verkauf in Fachgeschäften, der Abbau von Bürokratie und die Anhebung der Besitzobergrenzen. Die Rückabwicklung der Cannabis-Dekriminalisierung würde bedeuten, mindestens 4,5 Millionen Menschen wieder zu kriminalisieren und sie zum Teil den Gefahren durch gestrecktes, schmutziges Weed auszusetzen. Gleichzeitig würden Merz, Reuel und Co. dadurch erst recht die "Mocro-Mafia" und andere Banden unterstützen, denn die Nachfrage nach Marihuana und Haschisch wird vermutlich kaum sinken, wenn eine neue Bundesregierung unter Friedrich Merz uns das Weed verbietet. Außerdem werden sich Tausende von Mitgliedern der Cannabis Social Clubs, die derzeit mit bürokratischen Windmühlen kämpfen, viel Zeit und Geld in den Aufbau ihrer Clubs investieren, um so legales und qualitativ gutes Cannabis zu bekommen, sehr dafür bedanken, dass ihre Mühen und Mittel für den Arsch sind. Sollten sich Merz und andere mit ihrer Rekriminalisierung durchsetzen, bekommt dieses neun Jahre alte Video des Deutschen Hanfverbandes wieder eine traurige Aktualität.
Es muss Schluss sein mit der kleingeistigen, ängstlichen und überbürokratischen Cannabispolitik und politischer Rhetorik auf Kosten der Cannabis-Community. Es wird Zeit, dass erwachsene Konsumenten, gerne auch ab 21 Jahren, in Fachgeschäften eine schöne Auswahl verschiedener, sauberer Strains bekommen und sich sicher sein können, auch in der nächsten Legislaturperiode legal und von Politik und Justiz unbehelligt ihr Weed rauchen oder vapen können. Dass das natürlich mit wissenschaftlich fundierten (und nicht alarmistischen) Aufklärungsmaßnahmen über die Gefahren von Cannabiskonsum einhergeht, versteht sich von selbst und wird mit Sicherheit nicht an der Cannabisindustrie und den CSCs scheitern.
Kommentar hinzufügen
Kommentare